Cave Canem oder Hüte Dich vor des Pudels Kern

von Reinhold Schira

Viele Jahre bevor ich die Ruinen von Pompeji und das berühmte Mosaik im Haus des tragischen Dichters besuchen konnte, hatte ich – wohl im Lateinunterricht – CAVE CANEM, die Warnung vor dem Hund, bereits kennengelernt. Hätte ich sie beherzigen sollen?

Als Gaia mich im Juli 2018 adoptierte, waren ihr mögliche Ressentiments des Germanisten und Historikers herzlich egal. Was konnte sie schon wissen von dem kulturellen Ballast, von den unzähligen Artgenossen, die sich aus vergangenen Leseerlebnissen und Kunstbegegnungen ins Gedächtnis ihrer Menschen drängten und um Aufmerksamkeit buhlten?


Der Hund in ihrem ersten Lesebuch hieß HUND, erinnert sich Eva Demski, habe getan, was man ihm sagte und sei trotzdem immer gut gelaunt gewesen.


Die Schriftstellerin Eva Demski glaube ich, ging einmal irgendwo Geheimnissen der Hundheit nach und erinnerte sich an ein solches ganz frühes Leseerlebnis. Der Hund in ihrem ersten Lesebuch hieß HUND, habe getan, was man ihm sagte und sei trotzdem immer gut gelaunt gewesen. Oder habe ich das bei Thomas Mann gelesen? Sein Bauschan hinterließ schließlich nicht nur im literarischen Gedächtnis des Lesers Spuren, sondern womöglich auch in Gaias Revier, das wir täglich gemeinsam aufsuchen. Ob die Pappel noch steht, über die Thomas Mann in seinen Tagebüchern berichtet, dass Bauschan sich an ihr beim Ausgehen fürchterlich gestoßen habe? Glaubt man Thomas Mannschrie Bauschan mit zugekniffenen Augen, erholte sich aber rasch.

Wer bellt und knurrt und wedelt da sonst noch seit frühen Kindertagen und meldet sich aus den Bücherregalen zu Wort?

Packan, den sein Herr totschlagen wollte und der sich vom Esel überzeugen ließ, dass man etwas Besseres als den Tod überall finde, zur Not auch als Stadtmusikant in Bremen.

Marie von Ebner-Eschenbachs Krambambuli, auch so eine treue Hundeseele, die mich schon als Schüler der 6. oder 7. Klasse im Deutschunterricht erschütterte.

Immer wieder diese Geschichten von Undank und vom Verstoßen, von Treue und vom Weglaufen als ultima ratio.

Ebenfalls noch aus Schülerzeiten melden sich Senta und Harras sowie Prinz, alias Pluto aus Günter Grass‘ Hundejahren (Es war einmal ein Hund, der verließ seinen Herrn (…) und suchte sich (…) einen neuen Herrn. Schon wieder!), verwandt mit Michael Degens Blondi und tragischer Beleg dafür, dass Hunde nicht für die fehlende Moral und auch nicht für noch so monströse Verbrechen ihrer Menschen einstehen können.

Zum Glück ruft aus der Comic-Ecke der hinreißende Idefix und erinnert noch einmal an die Schulzeit, an heimliche Leseabenteuer unter der Schulbank – so alt ist Obelix‘ treuer, kleiner Begleiter tatsächlich schon.

Bevor ich mich in mein altes, ziemlich ramponiertes Exemplar von „Asterix und Kleopatra“ vertiefe, klopft die wunderbare Collie-Dame Lassie leise an und konkurriert, wie in Schülerzeiten mit der „Sportschau“, nun mit dem kleinen, nimmermüden Idefix.

Was mir als Kind Lassie war, bedeutete für eine meiner Töchter viele Jahre später Tobias Morettis Kommissar Rex, da freute ich mich schon über Zeus und ApolloJonathan Higgins‘ stattliche Dobermänner, vor denen selbst Tom Sellecks Magnum gewaltigen Respekt hatte.

Respekt, Respekt höre ich da aus einer ganz anderen Ecke. Neulich hast du dich noch über meine Respektlosigkeit amüsiert. MenneMax Liebermanns Dackel, bringt sich mit einem lauten, stumpfen Wffff in Erinnerung. Mariam Kühsel-Hussaini erzählt in ihrem wunderbaren Roman über Hugo von Tschudi, den langjährigen Direktor der Nationalgalerie in Berlin und der Staatlichen Galerien Münchens, dass der Maler Max Liebermann während seiner Spaziergänge entlang der Berliner Siegesallee Menne jedenfalls nicht davor zurück(hielt),  hier und da (an den Standbildern diverser Hohenzollern-Herrscher) sein Beinchen zu heben.

Wenn Hunde lachen könnten, kämen sie in ihrer Funktion als ständige Begleiter von homo sapiens den ganzen Tag nicht mehr aus demselben heraus.

Juli Zeh


Das Lächeln in meinem Gesicht verschwindet schlagartig, als sich von unten rechts zwischen Wolf (Christa) und Zschokke (Matthias) Gombrowskis Hündin Fidi aus Juli Zehs Unterleuten meldet. Tiefe Trauer befällt mich, auch wenn Fidi in einem letzten schönen Bild, wie ein verlöschend Fünkchen, würde der Barockdichter sagen, ihr lachendes Gesicht mit heraushängender Zunge zeigt, während sie einem Hasen hinterherjagt. Juli Zeh lässt den Leser schier verzweifeln und er bliebe zumindest eine Zeit lang untröstlich, stünde da nicht auch noch das Kleine Konversationslexikon für Haushunde, das Juli Zeh gemeinsam mit David Finck 2005 veröffentlichte und in dem sich so tiefgreifende Wahrheiten finden, wie die über das Lachen:

Wenn Hunde lachen könnten, kämen sie in ihrer Funktion als ständige Begleiter von homo sapiens den ganzen Tag nicht mehr aus demselben heraus.

Neue Erinnerungsfragmente flimmern auf, bleiben unbestimmt: Wann bin ich zum ersten Mal Hitchcocks Sealyham-Terriern Stanley und Geoffrey begegnet, mit denen der Meisterregisseur zu Beginn seines Horrorklassikers Die Vögel ausgerechnet eine Zoohandlung verlässt, und wann ließ ich mich von Luis Buñuels und Salvador Dalis Un chien andalou faszinieren, diesem surrealistischen Meisterstück, in dem gar kein Hund vorkommt – wenn ich mich recht erinnere?

Wann und mit wem ich erschüttert im Museo del Prado in Madrid vor Francisco de Goyas Hundefresco stand, weiß ich dagegen noch ganz genau, so tief war der Eindruck, den dieses Gemälde auf mich machte, lange bevor es Gaia in meinem Leben gab.

Und wieder ruft und knurrt es aus verschiedenen Ecken meiner Büchersammlung: Du hast das pudelnärrisch Tier aus Fausts Osterspaziergang vergessen! Ohne mich, den willkommnen, stillen Gast, gäbe es die Erkenntnis gar nicht, dass etwas des Pudels Kern ist! Stimmt!

In England soll es Hunde und Katzen regnen - aha!


Jetzt singen Samuel Becketts Wladimir und Bertolt Brechts Andreas Kragler plötzlich gemeinsam das traurig schaurige Kinderlied (wirklich ein Kinderlied?) vom Hund, der in die Küche kam und dem Koch ein Ei stahl… könnte Gaia auch passieren! In einem der wenigen noch erhaltenen bayerischen Wirtshäuser Münchens müsste sie sich dann wohl als Hundsgrippe, miserabliger beschimpfen lassen – und nein, es geht nicht um ein Grippe.

Ein weites Feld für jemanden, der sich nach über 40 Jahren in der bayerischen Fremde gelegentlich noch als Neigschmeggda behandelt sieht.

Wer Fremdsprachen lernt, lernt die Kultur eines Volkes kennen, hatte mein Englischlehrer immer betont.

In England soll es Hunde und Katzen regnen – aha!

Die hätte ich jetzt beinahe vergessen – aber das ist ein anderes Thema!