KINDER BRAUCHEN TIERE – Kita und Kindergarten mit Hund

Interview mit:

Julia Distl und ihrer Golden Retriever Hündin Olivia – eigentlich heißt sie „Golden Soulmates Chocolate Chip Kisses für Juliette“ – von allen aber nur Livi genannt.

Julia Distl leitet das „Haus für Kinder des Vereins Frühförderung“ in Neuburg a. D., das im Januar 2021 neu eröffnet wurde.


Interview mit einer außerordentlich engagierten Pädagogin

gaiaswelt:

Julia magst Du uns in zwei, drei Sätzen erklären, was Livi als Kitahund von Therapiehunden unterscheidet?


Julia:

Livi ist mein pädagogischer Begleithund. Sie initiiert und unterstützt durch ihre Anwesenheit und den Einsatz im Rahmen der pädagogischen Angebote Lernprozesse der Kinder. Die Anforderungen an einen pädagogischen Begleithund sind die gleichen wie an einen Therapiebegleithund, das Einsatzfeld ist allerdings ein anderes.


Livi der Kitahund mit dem personalisierten gaiaswelt-Halsband in Taupe mit roséfarbenen Buchstaben. Text auf dem Halsband: "Kitahund".
Livi der Kitahund

gaiaswelt:

Julia, Du bist ausgebildete Kindheitspädagogin und hast eine Masterarbeit über „Chancen und Grenzen des therapeutischen und pädagogischen Einsatzes von Hunden in der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen“ geschrieben. Hört sich kompliziert an. Als Titel hast Du gewählt „Kinder brauchen Tiere“. Hast Du Dich und Livi über Dein Master-Studium hinaus für Eure Arbeit im Bereich „Tiergestützte Pädagogik“ qualifiziert?


Julia:

Es gibt die unterschiedlichsten Akademien mit unterschiedlichen Ausbildungsrichtungen für tiergestützte Interventionen. Man sollte bei der Auswahl darauf achten, dass sie sich am Ethikcode des Berufsverbandes IBH (Internationaler Berufsverband der Hundetrainer) orientieren und bestenfalls nach den internationalen Richtlinien der Delta Society und der ESAAT (European Society for Animal Assisted Theraphy) arbeiten. Das Wichtigste bei Hunden im Einsatz ist Sachkunde ihrer Hundeführer, ich habe für Livi den Hundeführerschein gemacht.

Grundvoraussetzung für einen Einsatz in der Krippe ist eine Ausbildung der Hund-Mensch Teams. Livi ist schließlich täglich dabei.


gaiaswelt:

Das heißt, Livi und Du, Ihr seid beruflich und privat ein eingespieltes Team. Stimmt es, dass Du schon als Dreijährige in eine Art „Hungerstreik“ getreten bist, um Deine Eltern zur Anschaffung eines Hundes zu überreden?


Julia:

Ja, ich hatte meine Eltern schnell soweit und unser Mischlingsrüde Tobi trat in mein Leben. Er blieb nicht das einzige Tier. Zum Leidwesen meiner Eltern und zu meiner größten Freude tummelte sich schnell sämtliches Getier in Haus und Hof. Einen großen Anreiz setzte sicherlich auch meine Erzieherin, die uns regelmäßig Kaninchen und Küken in den Kindergarten mitbrachte. Diese beherbergten wir dann über einen längeren Zeitraum in einem Gehege in unserem Gruppenraum und beobachteten ihre Entwicklung.


Zwei große Leidenschaften

gaiaswelt:

Mit Kindern zu arbeiten hast Du mal als Deine zweite große Leidenschaft beschrieben ...


Julia:

Ich konnte mir nie vorstellen, in einem Bereich zu arbeiten, der „kinderlos“ ist. Die Freude, die Kinder selbst ausstrahlen, wenn sie etwas Neues erleben, entdecken und sich entwickeln, ist unheimlich ansteckend. Ich wollte mehr wissen über den „kleinen Menschen“ und seine Gedanken, Gefühle und Entwicklungsschritte.


gaiaswelt:

Gibt es so eine Art Schlüsselmoment, in dem Du gemerkt hast, wie sehr Dich Deine Liebe zu Tieren und Deine Liebe zu Kindern für Deine Lebensplanung beeinflussten?


Julia:

Im Rahmen meines Studiums der „Bildung und Erziehung in Kindheit und Jugend“ habe ich mich intensiv mit der Begegnung von Kindern und Tieren befasst, sowohl theoretisch, als auch praktisch. Mir fiel auf, welche Emotionen und Reaktionen Tiere bei Kindern wecken können, bei denen ich als Pädagogin den Zugang zunächst nicht gefunden habe.


Livi und die Kinder – Begegnung frei von Ängsten

gaiaswelt:

Es war bestimmt nicht einfach, Deine Idee, mit Livi und Kindern gemeinsam zu arbeiten, in die Praxis umzusetzen? Selbst wenn Kitaträger für diese Idee offen sind, gibt es doch bestimmt Vorbehalte von Eltern, mit denen Du Dich auseinandersetzen musst?


Julia:

Die Eltern, die ihr Kind bei uns anmelden, wissen, dass es an unserem Programm der Tiergestützten Pädagogik teilnehmen wird, sofern es nicht an schweren Allergien leidet. Da wir ausschließlich Angebote an über Dreijährige machen, können die Kinder selbst kommunizieren, ob sie Kontakt zu Livi möchten. Die Kinder sollen frei von Ängsten oder Vorbehalten ihrer Eltern mit dem Tier in Kontakt treten dürfen – sie müssen aber nicht.


gaiaswelt:

Gilt das auch für Livi? Kann auch sie entscheiden, ob und wann sie Kontakt mit den Kindern haben möchte?


Julia:

Livi hat im Büro ihre sichere Basis. Dort dürfen Kinder nicht hinein und auch Erwachsene haben die strikte Anweisung, den Hund nicht zu stören, wenn er gerade ruht. Livi hat eine Gitterbox in meinem Büro, wohin sie sich oft zum Schlafen zurückzieht. Die ist aber immer offen. Im Rest des Hauses darf sie sich nicht frei bewegen. Das Büro wird regelmäßig gereinigt und Livi hat dort dauerhaft Zugang zu Wasser und Kauartikeln. In der Mittagspause bekommt sie die Möglichkeit, sich auf einem Spaziergang zu lösen und zu spielen. Das ist auch „kinderfreie“ Zeit.


Tiergestützte Pädagogik im Alltag

gaiaswelt:

Jetzt sind wir natürlich neugierig? Wann spielen Livi und die Kinder denn?


Julia:

Um weder Kinder noch Livi zu überfordern, finden pro Woche höchstens zwei tiergestützte Angebote á 20 Minuten mit maximal 4 Kindern statt – alle mit mehr als zwei Kindern nur im Garten, damit Hund und Kinder sich auch ausweichen können.


gaiaswelt:

Wie genau sehen diese Angebote aus?


Julia:

Die meisten Angebote gibt es für über Dreijährige. Mit Hilfe von einem Bilderbuch erklären wir den Kindern z.B., wie man sich einem Hund gegenüber verhält, dass man einen Hund nicht einfach anfassen darf, einen Hund immer in Ruhe ansprechen soll und sich langsam bewegen soll, da schnelle Bewegungen einen Hund zum Hinterherlaufen oder Spielen verleiten. Anhand eines Hundeplüschtiers und einer Puppe werden einzelne Situationen nachgespielt.


gaiaswelt:

Und dann kommt Livi ins Spiel ....


Julia:

Ja, sie ist nun mit mir zusammen im Einsatz als Besuchshundeteam. Dann darf jeweils ein Kind zu uns kommen und zum Beispiel ein Leckerli aus einem Beutel nehmen und dies Livi füttern.

Vorschulkinder können auch schon richtiges Training mit Livi absolvieren und sogar einen Hundeführerschein für Kinder machen.


gaiaswelt:

Wie hat sich tiergestützte Pädagogik ganz konkret auf den Alltag der Kinder bei Euch ausgewirkt?


Julia:

Jetzt, in Zeiten von Corona und der Neueröffnung hat Livi den Kindern sprichwörtlich die Türen geöffnet. Die Kinder kannten das Haus nicht, wussten nicht, welche Pädagoginnen sie erwarten, aber dass Livi da ist, das wussten sie und das war großes Thema. Die Kinder erzählten ihren Freunden davon und hatten etwas, auf das sie sich freuen konnten. Wenn es anfangs in der Eingewöhnung Tränen gab, hat ein bisschen Livi streicheln die Tränen getrocknet und für Ablenkung gesorgt.

Inzwischen schauen die Kleinen oft bei uns am Büro vorbei, ich habe dort eine sehr große Glasscheibe, durch die Hund und Kinder sich gegenseitig beobachten können, und viele möchten sich auch am Ende des Tages noch von Livi verabschieden. Manche geben ihr noch ein Leckerli, manche streicheln sie.


gaiaswelt:

Ist das nicht manchmal auch stressig für Livi?


Julia:

Wenn Livi nicht mag, muss sie nicht, und wenn ich keine Zeit habe, geht es auch nicht. Sie weiß, dass der Kontakt mit den Kindern immer Arbeit bedeutet und verhält sich automatisch ruhiger. Man merkt ihr aber an, dass speziell kleine Kinder sehr anstrengend für sie sind. Wenn sie anfängt zu beschwichtigen, wird das Angebot beendet, und Hund und Kind gehen wieder ihrer Wege. Grundsätzlich ist Livi aber sehr ausgeglichen.


Hundehalsband mit der applizierten Personalisierung "Kitahund"
Personalisiertes Hundehalsband für Livi, den "Kitahund"

gaiaswelt:

Wie reagieren denn Besucher auf Livi und vor allem, wie geht Dein Team mit Livi um?


Julia:

Livi trägt im Haus für Kinder ihr Kitahundehalsband, dann weiß jeder: „Sie gehört dazu“.

Für unsere Mitarbeiter gilt das ohnehin – Livi ist Teil des Teams.

Nicht nur die Kinder, sondern auch die Mitarbeiter/innen freuen sich morgens auf den Hund und Livi freut sich auf sie.


Blick zurück auf die ersten Wochen

gaiaswelt:

Euer Konzept für „Tiergestützte Pädagogik“ bezieht sich ausdrücklich auf den „Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan“, der vorgibt, emotionale, kognitive, motorische, soziale und sprachliche Kompetenzen zu fördern.

Siehst Du nach den ersten Wochen für Dich persönlich bereits Erfolge auf dem Weg, diese Ziele zu erreichen?


Julia:

Unbedingt, ich sehe wie Kinder mit Livis Hilfe lernen, sich selbst und andere wahrzunehmen, Ängste ab- und Beziehungen aufzubauen. Die Kinder beobachten, wie Livi sich manchmal schnell und manchmal langsam bewegt, und ahmen ihre Bewegungen nach. Das fördert tatsächlich die Entwicklung ihrer eigenen Motorik. Mir ist auch wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass man Verantwortung übernehmen kann, indem man fürsorglich ist. Für Krippenkinder, deren Spracherwerb in vollem Gange ist, sind Tiere oft ein großer Anreiz, sich verbal auszudrücken und dabei die richtige Intonation und Aussprache zu erlernen.


gaiaswelt:

Last but not least – mag Livi ihren neuen Job?


Julia:

Livi liebt es, von so vielen Menschen umgeben zu sein. Ich hätte es mir nicht schöner vorstellen können.


gaiaswelt:

Vielen Dank Julia. Wir wünschen Dir, Livi und Deinem Team weiterhin viel Erfolg und Freude mit Eurer Arbeit.